Arbeit im Alter
Wie jeden Morgen klaute er
die SZ beim Meyer aus dem Briefkasten. Wenn er sie gelesen hatte, stopfte er
sie dem Meyer wieder in den Briefkasten, der las die Zeitung eh immer erst am
Abend. Und er selbst brauchte die Zeitung für seine tägliche Arbeit – jeden
Mittag traf er sich mit seiner Kollegin. Seit vielen Jahren schon gingen sie
gemeinsam auf Tour und seitdem sie beide alt und grau und nicht mehr so flink
waren, war ihr hohes Alter ihr dritter Komplize. Sie wechselten täglich die
Parks, damit niemand Verdacht schöpfte: Sie suchten sich eine Person aus, die
am wenigsten gehetzt wirkte und nach viel Geld aussah und die sprachen sie an.
Sagten, dass sie ihre Brillen Zuhause vergessen hatten und ob die Person ihnen
nicht etwas aus der SZ vorlesen wolle. Die meisten taten es. Aus Mitleid. Fürs
Karma. Und hatten hinterher keine Brieftaschen mehr.