Lotto - Teil 1


Die Sonne blendete Martha sobald sie aus dem Haus trat. Sie blieb in der Tür stehen, damit sich ihre Augen an das helle Licht gewöhnten. Es gab nur noch einen Ort, für den Martha täglich ihre Wohnung verließ seitdem ihr Mann Willem gestorben war und seither mit fast all ihren Freunden auf dem Friedhof ruhte. Es gab zwar Freunde, die noch atmeten, aber denen hatte die Demenz riesige Löcher ins Hirn gefressen, so dass sie genauso gut schon auf dem Friedhof liegen könnten. Martha verließ ihre Wohnung jeden Tag, um zum Kiosk zu gehen, der gerade einmal 450 Meter die Straße runter lag. Rouven hatte den Kiosk eröffnet kurz nachdem sie und ihr Mann in die Dachgeschosswohnung in der Prinsengracht gezogen waren. Martha hatte den Männern in ihrem Leben immer die Treue gehalten: Ihrem Mann Willem und auch Rouven. Sie hatte weder einen anderen Mann als Willem geliebt noch hatte sie einen anderen Kiosk als Rouvens für ihre täglichen Spaziergänge aufgesucht. Bei Rouven bekam sie jeden Tag den Teelegraf, mittwochs ihren Lottoschein und am Sonntag ihre Packung Zigaretten. Heute war Mittwoch, heute holte sie sich ihren Gewinn ab und spielte einen neuen Schein.
Martha schob ihren Rollator auf den Gehsteig, ohne nach links oder rechts zu sehen. Ein paar Touristen mussten ausweichen, aber schließlich war das hier ihre Stadt. Sie war hier geboren und sie würde hier begraben werden, da waren all diese Touristen schon längst wieder in Deutschland, China oder Amerika.