Lotto - Teil 2


Der Weg zum Kiosk wurde jeden Tag länger, was vielleicht auch an all den Touristen, Radfahrern und Autofahrern lag, die ihr auf den engen Straßen Amsterdams entgegenkamen. Auf keinen Fall lag es an ihren kaputten Knien oder ihrer kaputten Hüfte. Und schon gar nicht an ihrem Rollator. Ihr alter, verbrauchter Körper war nur schuld daran, dass sie nicht mehr in einer Dachgeschosswohnung leben konnte. Die steilen Treppen in den alten Amsterdamer Häusern waren der Endgegner ihrer Knie und ihrer Hüfte. Deshalb wohnte sie seit Willems Tod im Erdgeschoss und war zu einem seltenen Tier mutiert, das ständig von fremden Menschen durch die Scheiben ihres Wohnzimmerfensters angeglotzt wurde.
„Warum löschst du nicht einfach das Licht? Dann schaut auch keiner mehr in dein Fenster“, sagte Rouven als sie ihm heute wieder davon erzählte, wie einer dieser Idioten auch noch gegen die Scheibe geklopft hatte.
„Ich bin fast blind, du Trottel“, sagte Martha. Sie schüttelte den Kopf. Es war nicht so, dass Rouven noch nie davon gehört hatte. „Ich brauche das Licht, damit ich den Telegraaf lesen kann. Aber ich kann doch nicht schon mittags die Vorhänge zuziehen.“ Rouven brummte zustimmend während er weiter die Zeitungen ins Regal sortierte, das sich gleich an den Tresen anschloss. Martha stand bereits am Tresen, mit ihrem Rollator versperrte sie den anderen Kunden den Weg, aber das störte weder sie noch Rouven.