Lotto - Teil 6
Endlich
hatte sie den Rollator gedreht. Ihr war warm in ihrer Strickjacke, aber sie
konnte sich unmöglich damit aufhalten, jetzt im Laden ihre Strickjacke
auszuziehen. Außerdem bekam sie keine Luft mehr. Sie musste raus aus diesem
Kiosk, ganz schnell und der spanische-deutsche-französische-englische-was-auch-immer
Tourist jammerte auch nicht als sie mit dem Rollator über seinen Fuß fuhr. Sie
murmelte eine Entschuldigung in seine Richtung, aber es war ihr egal, ob er das
hörte. Die beiden Mädchen sprangen zur Seite, sonst wäre Martha vermutlich auch
noch über deren Füße gefahren. Martha holte tief Luft als sie vor dem Kiosk auf
der Straße stand. Das Sonnenlicht blendete sie wieder, Touristen liefen um sie
herum und Wörter in Sprachen, die sie nicht verstand, umschwirrten sie wie
lästige Fliegen. Martha holte noch einmal tief Luft und hörte beim Ausatmen wie
sich die Türen des Kiosks zischend öffneten. Sofort setzte sie sich in
Bewegung. Auf keinen Fall blieb sie hier und hörte sich an, was Wesley oder
Rouven ihr zu sagen hatten.
„Martha!“
hörte sie Rouven. „Martha, jetzt warte doch!“ Rouven hatte noch all seine
eigenen Gelenke, er würde sie so oder so einholen. Aber erst einmal musste er
ihren kleinen Vorsprung einholen. Sie kam nicht weit, natürlich nicht, auf
ihren verfluchten Körper war einfach kein Verlass mehr. Genauso wenig wie auf
ihren verfluchten Geist. Warum um alles in der Welt hatte sie ausgerechnet
Wesley von ihrem tiefsten und geheimsten Wunsch erzählt? War sie inzwischen
schon so senil und so einsam, dass sie ausgerechnet diesem Jungen von der
Dachgeschosswohnung erzählen musste?