Alte Heimat, neue Heimat


Heute Morgen war sie in ihrem alten Kinderzimmer aufgewacht, der Regen hämmerte auf die Dachschräge, unter der sie schlief. Alte Heimat nannte sie den Ort, an dem sie aufgewachsen war und den sie vor vielen Jahren genauso verlassen hatte wie ihre Eltern, die Schwester, die Tanten und Onkel und Cousinen, die Lebenden und die Toten. Jetzt lag sie viele Kilometer entfernt in ihrem Bett in ihrer Wohnung, es regnete nicht, sie war allein. Neue Heimat nannte sie diesen Ort, an dem sie nun lebte und arbeitete und all ihre Freunde hatte. Die zweite Familie, nur Lebende. Manchmal war es schwer zu sagen, welche Heimat ihr die liebste war. Ob sie auf eine von beiden verzichten könnte. Sie löschte das Licht. Hier, im Dunkeln, stellte sie sich manchmal vor, dass sie in ihrem alten Kinderzimmer lag. Draußen rauschten die Autos vorbei, morgen müsste sie in die Schule gehen. Und ihre größte Sorge würde sein, dass sie am Dienstag in der ersten Stunde Chemie hatte, mit dem Fach stand sie auf Kriegsfuß. Sie lächelte als sie einschlief, alte Heimat, neue Heimat, es war dem Schlaf egal.