Gedanke

 

Sie wusste, dass sie den Gedanken notieren musste, sonst war er für immer verloren. Flog davon wie der Samen einer Pusteblume, sanft hinweggetragen von einer kaum merkbaren Brise. Genauso wie er zu ihr gekommen war, still, ohne Ankündigung, war er auf einmal wieder weg. Manchmal brachte er nur ein Gefühl, manchmal ein Bild oder ein Geräusch. Selten waren es komplette Sätze, noch ungewöhnlicher, dass sie gleich eine Unterhaltung hörte. Der erste Gedanke brachte wenig, zumindest dachten das die anderen, die, denen auch ab und an ein Gedanke zuflog, die ihn aber nicht beachteten. Sie ignorierten ihn, vielleicht, weil sie sich nicht trauten, den Gedanken aufzuheben, festzuhalten, ihm beim Wachsen zuzusehen. Deshalb flog der Gedanke weiter, suchte sich jemanden, der ihm zuhörte, verstand und sich traute, die Augen zu schließen und Geduld zu haben. Genau wie sie jetzt. Und dann musste sie den Gedanken aufschreiben, das war das Geheimnis. Nur so konnte er Wurzeln schlagen und wachsen – zu einem Gedicht, einer Geschichte, einem Bild, einem Leben.