Umarmung

Sie blieb noch für einen Moment im Auto sitzen, die Maske fest umklammert in ihren Händen. Inzwischen war sie geimpft, zweimal sogar. Es war noch nicht so lange her, gerade einmal anderthalb Jahre, da fuhren in der Stadt die Polizeiwagen umher und über den Lautsprecher forderten sie die Menschen auf, Zuhause zu bleiben und Kontakte zu vermeiden. Sie erinnerte sich daran, dass die Regale im Supermarkt plötzlich leer waren und es Witze über zu wenig Klopapier gab. Sie hatte vor dem Regal mit der Pasta gestanden und es hatte noch nicht einmal mehr die mit Vollkorn gegeben und für einen Moment hatte sie Panik bekommen, dass sie nicht genügend zu essen bekam. Aber die Panik war verflogen und die Regale füllten sich innerhalb weniger Tage wieder auf. Sie dachte an die Bescheinigung in ihrem Geldbeutel, ausgestellt von ihrem Arbeitgeber, dass sie so wichtig war fürs Unternehmen, dass es auf keinen Fall genügte, wenn sie nur von Zuhause aus arbeitete. Es hatte jeden Abend eine Sondersendung gegeben nach der Tagesschau, endlose Talkshows mit Experten und solchen, die glaubten, sie seien Experten. Sie hatte die Pandemie überstanden, ohne jemanden an diese Krankheit zu verlieren, nur ein oder zwei Freundschaften waren auf der Strecke geblieben. Man kann nicht mit Menschen befreundet sein, die glauben, dass diese Pandemie eine Verschwörung der Weltmächte ist und einen als Schlafschaf bezeichneten. Sie atmete noch einmal tief ein und aus und stopfte die Maske ins Handschuhfach bevor sie die Autotür öffnete. Da, an der Haustür, wartete ihr Vater auf sie. Die letzte Umarmung war anderthalb Jahre her und plötzlich konnte sie es nicht mehr erwarten, endlich die letzten Meter zwischen ihnen beiden zu überwinden.