Nacht I

 

Die Nächte waren lang an diesem Ort. Er war sich sicher, dass er kaum schlief, denn so vieles hielt ihn wach: Die Tram, die den Hügel hochrumpelte und quietschend bremste, weil sich direkt neben den dem Gebäude, in dem er lag, die Haltestelle befand. Die Sauerstoffversorgung seines Zimmergenossen, die sanft vor sich hin blubberte während sein Zimmergenosse den kühlen Sauerstoff einatmete und schlief.

Er wünschte, er könnte auch schlafen, um die unendlichen Nächte zu verkürzen. Er hörte die Schwestern im Flur, wenn ein Patient geklingelt hatte. Der brauchte vielleicht Schmerztabletten oder eine Tablette zum Schlafen. Er bekam keine Tabletten mehr, er sollte lernen, ohne die Dinger zu schlafen und ohne Schmerzmittel auszukommen. Er dachte an die Tage mit der Schmerzpumpe zurück. Das hatte gutgetan – jede halbe Stunde hatte er sich die Schmerzen einfach selbst wegspritzen können. Dann hatte es auch mit dem Schlafen geklappt.

Er rutschte in seinem Bett tiefer. Jetzt fiel das Licht der Straßenlaterne nicht mehr auf seine Stirn, nur noch auf die Haare. Vielleicht half das ja auch, weil der Körper nun verstand, dass es dunkel war, er schlafen musste. Er schloss die Augen. Zählte die Sekunden bis zur nächsten Tram. Aber es half nicht, der Schlaf ließ sich auch nicht herbei zählen. Deshalb hatte er sich angewöhnt, auf den langen Fluren seiner Station spazieren zu gehen. Am Ende des Ganges gab es ein Fenster und wenn er lange genug stehen blieb, dann dachte der Bewegungsmelder, dass niemand mehr da war und das Licht erlosch. Er stand so lange am Fenster bis zwei Trambahnen vorbeigefahren waren, meistens ohne Fahrgäste, nur der Fahrer, einsam in seiner Fahrkabine. Er wünschte sich, er könnte in die Tram einsteigen und nach Hause fahren. Dann schlurfte er zurück in sein Zimmer, in der Hoffnung, sich so angestrengt zu haben, dass er endlich schlafen konnte.

Die Nächte waren lang an diesem Ort.