Nacht II

 

 

Am liebsten fuhr er in der Nacht. Zum einen, weil es deutlich weniger Fahrgäste gab und zum anderen, weil er das Gefühl hatte, dass die Stadt nur ihm allein gehörte. Die Stadt, die ohnehin schon aus allen Nähten platzte und im Sommer auch noch von Millionen von Touristen heimgesucht wurde. Viele Kollegen berichteten von den Begegnungen mit den Fremden, wie sie sich mit Händen und Füßen verständigten und am Ende waren alle glücklich. Er schnaubte und gab den Weg zum Krankenhaus hinauf Gas. Das war nämlich ein weiterer Vorteil in der Nacht: Er konnte schneller fahren und niemand interessierte es. Der Tag hatte einen einzigen Vorteil: Wenn wieder irgendein Idiot mit seinem SUV zu nah an den Gleisen parkte, konnte er so lange bimmeln bis der Idiot aus einem der Läden gestürzt kam und den Wagen mit hochrotem Kopf wegfuhr. Ja, das war durchaus schön. Aber das war auch das einzige.
Nachts konnte er in die hell erleuchteten Fenster der Wohnungen und Häuser sehen, an denen er vorbeifuhr und manchmal auch etwas länger, wenn er an der Haltestelle warten mussten. Im Krankenhaus stand in manchen Nächten ein Mann am Fenster, unbeweglich, so dass er am Anfang gedacht hatte, dies sei eines dieser Skelette, die in manchen Krankenhäusern oder bei Ärzten so rumstehen. Aber dann hatte sich der Mann bewegt, die Stirn an die Scheibe gelegt während er darauf wartete, dass er endlich weiterfahren durfte. In der zweiten oder dritten Nacht hatte der Mann die Hand gehoben so als wolle er ihn grüßen. Und er? Er hatte den Zeige- und Mittelfinger an die Stirn gelegt und einen militärischen Gruß angedeutet. Und dann war er davon gerattert, über die leeren Straßen – wie ein Pilot in einem Raumschiff, auf dem Weg, fremde Welten zu entdecken.