Wald

 

Sie lag im Bett und obwohl das Fenster geöffnet war, fiel kein Licht von draußen herein. Der Himmel war bedeckt, er ließ kein Mondlicht durch. Die nächste Ansiedlung war Kilometer entfernt und dann war auch noch das Blätterdach über ihr. Sie lag auf dem Rücken, die Augen weit aufgerissen und dennoch konnte sie nichts erkennen: Es war so finster als hätte sie ein großer Fisch verschluckt. Oder: Ein Bär. Das passte besser zu dem Ort, an dem sie sich tatsächlich befand – einem Baumhaus in einem Wald. Es hatte nach einer guten Idee geklungen, hier zu übernachten. Nach Abenteuer, Freiheit und Romantik. In dem Wald zu schlafen, in dem sie sonst spazieren ging und ihre Akkus auflud – in einem kleinen Haus hoch über dem Boden, fest verankert in einer Eiche. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so dunkel sein würde. Wie sollte sie da schlafen? Sie hörte den kleinen Fluss, der vor ihrem Baumhaus vorbei führte, leise rauschen. Er führte mehr Wasser als gewöhnlich, denn es hatte in den letzten Tagen viel geregnet. Er gluckste vor sich hin als machte er sich über sie lustig. Sie blies die Backen auf. War ja auch irgendwie lustig – es war ihr zu dunkel, um zu schlafen. Sie drehte sich auf die Seite und konzentrierte sich nur noch auf den Fluss. An manchen Stellen klang er wie das Meer und ihr Herz zog sich vor Sehnsucht zusammen. Dabei hatte sie das Meer erst vor ein paar Stunden verlassen – wie konnte sie da schon wieder Sehnsucht haben? Sie schluckte. Der Fluss gurgelte, laut, durchdringend und dieses Mal klang er nicht so als mache er sich lustig. Dieses Mal klang er als könne er sie verstehen. Sie schloss die Augen und hörte dem Fluss zu, der ihr jetzt Geschichten erzählte, vom Meer und den Wellen und den Möwen und den Muscheln und plötzlich hatte sie keine Angst mehr vor der Dunkelheit, denn sie hatte einen Verbündeten in diesem Wald.