Mond

 

Sie schaltete das Deckenlicht im Schlafzimmer aus und wandte sich schon zum Gehen, doch war noch immer erleuchtet. Der Vollmond erhellte das Schlafzimmer und die Kastanie vor ihrem Fenster warf Schattenbilder auf die Bettdecke. Ein heller Streifen Mondlicht lief vom Fenster am Bett vorbei bis hin zu ihr. Sie starrte auf den Boden, das Parkett glänzte silbrig. Vor vielen, vielen Jahren, Jahrzehnte war es schon her, da hatte der Mond ebenso hell in ihr Schlafzimmer geschienen. Damals hatte sie noch in einer anderen Stadt gewohnt, hatte eine Zahnspange getragen und ohne ihren Teddy hatte sie nicht einschlafen können. Sie hatte in dieser Vollmondnacht ihren Teddy genommen, sich ein Paar dicke Socken angezogen und ihre dicke Strickjacke und das Fenster geöffnet. Dann hatte sie sich auf den Teppich vor ihr Bett gesetzt, genau dort, wo das Licht am hellsten hin schien. Teddy hatte sie fest umarmt und leise geflüstert: „Nimm mich mit, ich will in den Himmel zu den Sternen!“ Sie hatte lange dort gesessen, vor ihrem Bett und sie hatte es auch nicht wieder ins Bett geschafft. Ihre Mutter hatte sie am nächsten Morgen gefunden, wie sie zusammengerollt vor ihrem Bett lag und schlief. Sie konnte sich noch genau an die Enttäuschung erinnern, dass sie noch immer hier war und nicht hoch oben auf einer Wolke bei den Sternen. Auch konnte sie sich genau an das Gefühl in ihrem Bauch erinnern, an die Aufregung, dass das Mondlicht sie mit fortnahm, an die Vorfreude auf all die Abenteuer, die sie erleben würde und an die Trauer, dass sie ihre Familie zurücklassen musste.
Sie sah zum Sessel, der neben ihrem Bett stand. Verborgen unter einem Haufen Bügelwäsche saß ihr Teddy, in die Jahre gekommen so wie sie auch. Doch im Gegensatz zu ihr hatte er sich seinen erstaunten Gesichtsausdruck behalten. Sie räumte die Bügelwäsche zur Seite und setzte Teddy so, dass er den Mond und das in silber getauchte Schlafzimmer sehen konnte.
„Weißt du noch?“, flüsterte sie. „Wir wären einmal fast bis zu den Sternen geflogen.“ Und Teddy sah sie an, genau wie damals, aus seinen braunen Knopfaugen und sie lächelte.