Rad
Immerzu lachte er über
sie. Manchmal schimpfte er auch. Weil sie so defensiv fuhr, dass sie viel zu
langsam war. Bedächtig schob sie sich durch den Stadtverkehr mit ihrem Rad und
wenn sie Auto fuhr, war es nicht anders. Okay, sie bildete keine lange Schlange
hinter sich, aber sie fuhr auch nicht so, dass es an Michael Schumacher
erinnerte. Mittlerweile vermieden sie es, zusammen in der Stadt zu radeln. Es
führte nur zu Stress und Streit und tatsächlich auch zu Tränen. An jenem Tag
hatte sie wieder mit ihr geschimpft, warum se so langsam fuhr, er wusste doch
genau, dass sie schnell fahren konnte.
„Weil ich nicht sterben
will“, hatte sie gesagt und geräuschvoll die Nase nach oben gezogen.
„Was?“, hatte er gefragt.
„Du hast doch einen Helm auf und du beachtest die Verkehrsregeln. Wie solltest
du da in die Verlegenheit kommen zu sterben?“
„Du zwingst mich dazu,
andere Radler zu überholen oder Autos, die an der Ampel warten. Wenn da einer
mit dem Auto ausschert… Oder die Tür öffnet. Oder es kommt Gegenverkehr… Dann
werde ich sterben.“ Sie wischte sich die Tränen mit dem Handrücken von der
Wange.
„So schnell stirbt man
nicht“, sagte er.
„Ich sehe es aber genau
vor mir“, sagte sie. „Wie die Tür aufgeht und ich nicht mehr bremsen kann und
dann weiche ich aus und auf der Gegenspur kommt ein Bus und der kann auch nicht
mehr bremsen und dann lande ich in seiner Windschutzscheibe und da ist Blut… So
verdammt viel Blut…“
Er sah sie lange an.
„Meinst du nicht, dass der Bus auch bremsen wird? Die Straße ist doch kein
Krieg, hier passen alle aufeinander auf. Dir ist doch bisher auch nichts
passiert, du warst noch nie in einen Unfall verwickelt. Und schon gar nicht
bist du meinem Bus kollidiert.“
„Das liegt daran, dass ich
so vorsichtig bin“, flüsterte sie. „Sonst wäre ich schon längst tot.“
Er nickte und von jenem
Tag an, fuhren sie nie mehr zusammen mit dem Rad.